Poetische Architektur
- Exkurs Sinnenwelt aus anthroposophischer Sicht
Erschließung und Bereichsbildung
Grundriß: Modulation als Orientierungsfaktor
Therapeutische Architektur?
Oberflächengestaltung - Farbgestaltung - Lichtführung
Anthroposophische Architektur versucht, dieses Entwurfsprinzip auf die Grundlage geistiger Erkenntnis zu stellen. Dadurch entsteht ein Ganzes, daß über die Einzelkomponenten hinaus Bezüge und Wirkungen enthält, die nur in der Anschauung erlebt werden können. Viele dieser Inhalte sind nicht unmittelbar dem Intellekt zugänglich, sie vermitteln sich der Seele: die Architektur wird poetisch.
Speziell für alte Menschen ist ein Ausdruck von Einfachheit und Friedfertigkeit wichtig im Gegensatz zum im tätigen Leben stehenden Menschen, der eine kraftvoll-dynamische Umgebung braucht. L17
Die anthroposophische Sinnlehre kennt 12 Sinne. Diese Sinne dürfen nicht mit den Sinnesorganen verwechselt werden, sie bedienen sich nur der Organe.
Hier sollen nur die Sinne behandelt werden, die im Sehfeld, der Summe unserer optischen Sinneseindrücke, tätig werden. Nach anthroposophischer Lehre ist der Sehsinn für die Wahrnehmung von Helligkeit und Farbe, die unmittelbaren physikalischen Wirkungen, zuständig, der Gestaltsinn erfaßt aus den physikalischen Informationen die Formen im Raum und damit auch Tiefe und der Denksinn schließlich kann diesen Formen Bedeutung zuordnen, sie im eigentlichen Sinne wahrnehmen. Gestaltsinn und Denksinn werden auch in anderen Erfahrungsfeldern tätig wie z.B. Tastfeld und Hörfeld
(Geräusche - Laute - Information). L11
• Der Denksinn erfaßt die Bedeutung | |
• Der Gestaltsinn erfaßt die Konturen | |
• Der Sehsinn erfaßt die Farbe und Helligkeit |
Diese Sicht wird durch die moderne Wahrnehmungsforschung zumindest phänomenologisch unterstützt. Die Formwahrnehmung erfolgt demnach hauptsächlich über die Konturen, nicht über Flächen, diese Form der Orientierung funktioniert primärer und einfacher. Orientierung über Bedeutungsinhalte ist mit größerer Denkarbeit verbunden. L10
Am Beispiel des Hermann-Keiner-Hauses, Dortmund zeigt sich der Umgang mit dem Außenraum. Für das Haus wurde ein gespiegelter Y-Grundriß verwendet, so daß sich das Gebäude gleichsam mit dem Außenraum verzahnt. Es schließt die vorgelagerten Bereiche mit ein, erklärt sie sich zugehörig und läßt so geborgene Bereiche entstehen, die einen allmählichen Übergang zum freien Außenraum ermöglichen. L17 |
Im Nikolaus-Cusanus-Haus, Birkach sitzen diese "Sprossen" an einer sich schlängelnden "Wurzel". Am Endpunkt der Flure liegen die Gemeinschaftsräume des Wohnbereichs.
Legende:
Vorfahrt Haupteingang 1
Gemeinschaftsräume 2
Café 3
Festsaal 4
Kapelle 5
Wohnhof 6
Innenhof 7
Restaurant 8
Hauptküche 9
Wirtschaftshof 10
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Die Ausbildung dieser eingerollten Flurenden trägt insbesondere der Orientierung Verwirrter Rechnung, die durch diese Form in eine Schleife geführt werden, statt in der Sackgasse zu stehen. (Dies wurde auch von Heimleitung angeführt) | |
Die Aufweitungen der Flure, die auch an anderen Stellen eingeführt wurden, bilden offene Räume, die die Übersicht verbessern und zum Verweilen einladen können, da sie trotz Transparenz etwas Sicherheit vermitteln. |
Gerade, parallele Raumkanten erfordern zur Tiefenwahrnehmung und der Bestimmung des eigenen Standorts Bedeutungsinhalte wie Perspektive, Größenverhältnis oder die "innere Landkarte". | |
Ähnlich verhält es sich mit gleichmäßig gekrümmten Kanten, die Flächen sind seitlich nicht begrenzt. Verwirrte sind durch ihren Rückzug aus der Realität zunehmend nicht in der Lage diese Inhalte richtig oder überhaupt zu erfassen; erst recht fällt es ihnen schwer, die Inhalte in den richtigen Bezug zu setzen. | |
Daher wird die Standortbestimmung und damit die Orientierung schwer, wenn nicht unmöglich. Kommen noch zusätzliche Faktoren hinzu, die die Oberflächen-Wahrnehmung erschweren, wie spiegelnde Böden oder Gegenlicht, bricht die Orientierung vollständig zusammen. | |
Gefaltete Wände und z.B. durch Unterzüge strukturierte Decken bieten dem Gestaltsinn, der am längsten "richtige" Ergebnisse liefert L7, ausreichend Konturen im Wahrnehmungsbereich, um den umgebenden Raum zu erfassen. |
Die Zimmer im Haus Morgenstern zeigen durch ihre Grundrißmodulation eine ausgeprägte Bereichsbildung. Ein eher nach außen orientierter, heller Fensterplatz und eine geschützte Rückzugsecke entstehen. Ist die Tür wie im Beispiel angeordnet, ergibt sich für den Eintretenden durch die Blickachse zum Fenster ein größerer Raumeindruck. Die stumpfen Winkel schließen das Zimmer stärker als ein rechteckig angelegtes und schaffen damit mehr Geborgenheit. |
Oberflächengestaltung
Die Materialien müssen begreifbar bleiben. Die Tasterfahrung muß mit dem Sehfeld harmonierenL7, d.h. Putzoberflächen und Holz werden nur lasierend behandelt, Metalle möglichst nur verzinkt o.ä.
Farbgestaltung
Farbe induziert Stimmungen, sie spricht das Seelische im Menschen an. Zur Erhaltung der seelischen Harmonie wird angestrebt, harmonische Farbstellungen zu verwenden unter Zugrundelegung der Goetheschen Farbenlehre. L1, L11 |
Im Haus Morgenstern zeigt sich in den Fluren die Zusammenstellung eines kühlen Mittel-Blau am Boden (Erfahrungswelt kühler Erdboden), helles Pastellblau an den Fensterrahmen als Übergang zu den Lichtfarben von draußen und warme lasierende Gelb bis Purpur-Töne an den Wänden, um dem ganzen die nötige Ausstrahlung von Geborgenheit zu geben und die Komposition abzurunden. Die Decke wird ohne Farbe hell gehalten (Erfahrungswelt Helligkeitsstufung). | |
Die vertikalen Erschließungselemente sind in kühlem Türkis gehalten, um den Übergang nach draußen zu signalisieren. | |
Im Außenbereich ist der Schattenwurf der Seitenwände der Balkone im Übergang von Dunkelgelb zu Rotbraun aufgenommen, ebenfalls um etwas mehr Geborgenheit zu schaffen. |
Im Nikolaus-Cusanus-Haus ist die Farbgestaltung zurückhaltender. Sehr dezente Tönungen in warmem Gelb und Rot akzentuieren einzelne Bereiche und dienen in den Fluren hauptsächlich der Unterstützung der Grundrißmodulation. Der Boden ist auch hier in Mittelblau gehalten. | |
Im Außenbereich wird die Untergliederung des Baukörpers durch Akzentuierung der zurückspringenden Bereiche unterstützt. | |
Auch Licht induziert Stimmung, es spricht im anthroposophischen Sinne mehr das Geistige im Menschen an. Auch hier ist eine harmonische Gestaltung wichtig. Im Haus Morgenstern bewirkt die Lichtführung eine Zonierung der Flurbereiche und der Aufenthaltsräume. Ruhiges indirektes Licht, fällt in die Innenhöfe und damit die Flure, akzentuiertes und belebendes Licht fällt in die Aufenthaltsbereiche, die Kreuzungszone ist eine angenehm dunklere Zone als Durchtritt zwischen den 2 Bereichen und als Beobachtungsposten. |
Im Nikolaus-Cusanus-Haus vermittelt der zentrale hell erleuchtete Innenhof eine angenehme Außen-Atmosphäre. Die Flure zu den Wohnbereichen versperren sich zunächst durch dunkle Durchgänge, öffnen sich dann aber wieder zu hellen Aufenthaltsräumen. Dazwischen führt Seitenlicht den Blick nach draußen und vermittelt stellenweise Laubengangcharakter. Diese Lichtstimmungen verstärken die Eigenständigkeit der einzelnen Wohnungen und Wohnbereiche und ermöglichen dadurch wiederum die Stufung des Übergangs ins Private. |
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